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Kulturforum Beiträge

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5 Minuten Lesezeit (930 Wörter)

Auf Umwegen ans Ziel

Labyrinth aus Teelichtern und Holzscheiten

Labyrinth in der JVA Freiburg

Ein Projekt der katholischen Gefängnisseelsorge in Freiburg schickt Gefangene in ein Labyrinth. Und das haben die 20 Männer zuvor selbst auf dem Boden der Sporthalle der JVA ausgelegt.
Auf den zweiten Blick erschließen sich die Möglichkeiten für die Seelsorge im Strafvollzug.

„Wenn ich hier rauskomme, dann nehme ich den geraden Weg."

Gefangener in der JVA Freiburg

Das ist ein Vorsatz, den Martin Vrana bisweilen von Gefangenen hört. Er ist seit 2018 katholischer Gefängnisseelsorger in der JVA Freiburg und führt hier mit inhaftierten Männern - wenn sie es wünschen - Gespräche und feiert Gottesdienste mit ihnen.
„Der gerade Weg - was soll das für einer sein? An diesem Satz bin ich hängengeblieben", so Vrana. „Lebenswege sind nun mal nicht gerade." Das war dann für ihn der Auslöser, sich mit dem Labyrinth zu beschäftigen und festzustellen: „Es gibt keinen Ort, an dem dieses Symbol besser passt als im Gefängnis!"

Das Kultursymbol Labyrinth hat eine jahrtausendealte Tradition. Und auch wenn die Begriffe Irrgarten und Labyrinth oft austauschbar benutzt werden, so gibt es doch einen grundlegenden Unterschied: Irrgärten können auch in Sackgassen führen, Labyrinthe tun dies nicht.
„Ist man im Gefängnis nun in einer Sackgasse gelandet, oder ist es doch eher ein Stück eines Weges, der wieder eine neue Wende nehmen kann?", so Vrana. Für diesen Gedanken steht das Labyrinth, das der Seelsorger mit 20 Gefangenen an einem Nachmittag in der Sporthalle der JVA Freiburg auslegt. Als Vorbild dient das berühmte Pflasterlabyrinth am Boden der Kathedrale von Chartres. In der Gefängnissporthalle wird es etwas kleiner nachgebaut aus zwei Ster Holzscheiten und 1100 Teelichtern, mit einem Durchmesser von 16 Metern und ca. 700 Metern Laufweg. Schon das Legen der Pfade in gleichmäßigen Abständen und in dieser Größenordnung wird zu einer gemeinsamen Meditationsübung.

Vereinzelt in Gefängnissen

Es ist durchaus ein großer Aufwand für wenige Stunden: Denn dieses Labyrinth ist nicht dauerhaft auf dem Boden installiert. Es wird noch am selben Abend von den Gefangenen wieder abgebaut. „Dauerhafte Labyrinthe als Gestaltungsarchitektur, vor allem im Außenbereich, gibt es vereinzelt in Gefängnissen, etwa in Heilbronn", so Martin Vrana. „Der Nachteil ist, dass bleibende Strukturen immer einen Gewöhnungseffekt haben – man sieht sie irgendwann gar nicht mehr, sie verlieren ihre Anziehungskraft."

Anziehungskraft hat die Sporthalle an diesem Tag auf jeden Fall. Manche der in der JVA Beschäftigten kommen sogar außerhalb ihrer Dienstzeiten, um zuzusehen, was sich hier heute tut. Es herrscht konzentrierte Ruhe. Die Holzscheite liegen, endlich ist am frühen Abend auch der Augenblick gekommen, an dem die Teelichter brennen und das grelle Deckenlicht ausgeknipst wird. Nur vom Kerzenschein beleuchtet, ändert sich die Atmosphäre augenblicklich: Es wird noch ruhiger, nahezu still.

„Manchmal meint man, einem Ziel ganz nah zu sein, und dann geht es doch wieder in eine andere Richtung. Man entfernt sich wieder von diesem Punkt, den man doch schon direkt vor Augen hatte", so erläutert der Seelsorger den Männern den Weg durch das Labyrinth, den nun jeder Gefangene zunächst für sich alleine geht. In aller Ruhe. In Umwegen und Kehren. Jeder muss behutsam gehen, die schmalen Pfade mit den brennenden Kerzen am Rand lassen es nicht anders zu. 

Aufeinander achten
Es dauert seine Zeit, doch niemand versucht, sich zu beeilen: langsam bis in die Mitte und zurück.

Was den Männern beim Gehen durch den Kopf gegangen ist, fragt Vrana im Anschluss. „Ich habe an meine Familie gedacht", lautet eine Antwort. „Das nimmt ja kein Ende hier, genau wie der Knast", eine andere.

Und dann geht es in die zweite Runde: Nun begehen alle 20 Gefangenen das Bodenlabyrinth gleichzeitig, hintereinander, in kurzen Abständen. Nach jeder Kehre passieren sie dabei parallel die das andere Ende der Schlange auf engem Raum, fast Schulter an Schulter. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, ein behutsames Gehen auf schmalen Wegen mit den angrenzenden brennenden Teelichtern. Sie müssen aufpassen, gemeinsam im selben Tempo zu bleiben. Symbolisch interpretiert der Gefängnisseelsorger es so: „Wir gehen diesen Weg zusammen als Schicksalsgemeinschaft im Gefängnis. Wir achten auf unseren Vordermann, damit es keine Karambolage gibt." Es gibt keine an diesem Abend. 

Eine Ausnahmesituation – im positiven Sinne

Ein Labyrinth legen, Kerzen anzünden, das Licht ausmachen: Was für Außenstehende – also Menschen jenseits der Gefängnismauern – unspektakulär wirken mag, ist im Gefängnis eine Ausnahmesituation, die vorab ein Höchstmaß an Planung und am Tag selbst eine spezielles Sicherheitskonzept erfordert. Der katholische Seelsorger ist daher überaus dankbar, dass ihm seitens der Gefängnisleitung dieses Experiment genehmigt wurde. Die Rückmeldungen der Gefangenen, die mitgemacht haben, sind durchweg positiv:Auch für sie war es eine Ausnahmesituation - im positiven Wortsinne. Einige hätten gerne danach ein paar der entstandenen Fotos als Erinnerung. 

Text und Fotos: Simone Richter | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Katholische Kirche Freiburg

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Gefängnisseelsorge

GefängnisseelsorgerInnen der evangelischen und katholischen Kirche arbeiten unter Gestellungsverträgen, in Anstellung oder Verbeamtung der jeweiligen Bundesländer. Sie sind in Straf- und Untersuchungshaft der Justizvollzugsanstalten (JVA), in Justizvollzugskrankenhäusern (JVK), Jugend(straf)anstalten (JA, JSA), im Jugendarrest (JAA), der Sicherungsverwahrung (SV) sowie in Unterbringungseinrichtungen des Abschiebegewahrsam für „Ausreisepflichtige“ (UfA, GfA) tätig.

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